Ivana Novoselac sagt von sich selbst, die Vergangenheit sei ihre Gegenwart. Unter dem Namen Madame Faction erzählt sie die Geschichten der glamourösesten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Auf ihrem Blog, ihren Social Media Accounts und während ihrer Faction-Days in London, Paris und Wien lebt sie vor, wie ein Funken Exzentrik und ein Hauch Kreativität das Leben bereichern können.
Ich spreche mit Ivana über ihre Leidenschaft für Kunst und (Vintage-)Mode, ihren glamourösen Alltag als Mutter, ihr Interesse an vielseitigen Lebensgeschichten und diskutiere mit ihr die Frage, ob das Leben im vergangenen Jahrhundert wirklich lebenswerter war.
Liebe Ivana, was ist Faction und wie bist Du zu Deinem Namen gekommen?
Der Begriff Faction stammt von Diana Vreeland – einer inspirierenden Frau, die in den 60er Jahren Chefredakteurin der amerikanischen Vogue war und unter anderem das Costume Institute im Metropolitan Museum mit begründet hat. Vor einigen Jahren ist mir ihre Autobiographie ‚Allure‘ in die Hände gefallen. Sie schreibt darin, dass eine Prise Faction, also eine Mischung aus Fact und Fiction, das Leben bereichern kann. Ich fand es spannend, diesen Satz von jemandem wie ihr zu lesen, die ohnehin ein sehr glamouröses Leben geführt hat. Seitdem habe ich Faction als Begriff und Leitsatz übernommen und frage ich mich jeden Morgen: Wie kann ich dem heutigen Tag eine Prise Faction hinzufügen?
Du sagst von Dir selbst, dass Kunst und Mode Deine zwei großen Lieben sind. Dabei schaust Du vor allem in das 20. Jahrhundert. Bereichert es Deine Gegenwart, ab und zu in die Vergangenheit zu reisen?
Absolut! Ich habe bereits als Jugendliche damit aufgehört, den Einheitsbrei der bekannten Modeketten anzuziehen, der damals en vogue war. Stattdessen gab es für mich ein großes Second Hand Geschäft bei uns um die Ecke, in dem ich regelmäßig einkaufen ging. Meine Mutter hielt mich damals für völlig verrückt – vor knapp 25 Jahren hatte Second Hand zu kaufen noch nicht das gleiche Ansehen wie heute. Ich entdeckte zuerst die Mode der 70er, dann die 80er und 90er und mit den unterschiedlichen Stilen und den damit einher gehenden Geschichten wurde nach und nach die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zum Teil meines Alltags.
Mit 18 Jahren ging ich dann an eine Modeschule nach Paris. Sich individualistisch zu stylen hatte dort nochmal ein ganz anderes Niveau als in Wien – das hat die Beschäftigung mit meinem eigenen Look nochmal angekurbelt. Ich lernte dort Schneiderei und Design und war entsprechend regelmäßig auf der Suche nach neuen Projekten und Inspirationsquellen. Doch statt mich wie andere in der Gegenwart umzusehen, stöberte ich in der Kunst und in der Mode der Vergangenheit. Irgendwann kam dann der Moment, in dem ich noch tiefer eintauchen und in die Theorie einsteigen wollte. Deshalb habe ich im Anschluss Kunstgeschichte mit Fokus auf Mode in Wien studiert. Seitdem war ich nie wieder wirklich in der Gegenwart. (lacht)
Würdest Du Dich dann als Nostalgikerin bezeichnen?
Absolut! Als ehemalige Jugoslawin möchte ich fast sagen, Nostalgie liegt mir im Blut.
Hast Du denn ein favorisiertes Jahrzehnt?
Wenn ich mir meine Lieblingsoutfits der letzten 25 Jahre anschaue, liegt die Kernepoche wahrscheinlich zwischen 1988 und 1994. Vor etwa 10 Jahren habe ich außerdem einen echten 50s Wahn entwickelt. Ich bin ganz in der Mode und der Kunst des Jahrzehnts abgetaucht – die Frisuren gefielen mir sogar so gut, dass ich sie bis heute trage. Außerdem liebe ich die Roaring Twenties und die glamourösen Studio-54 Looks der Disco-Ära. Wenn ich ehrlich bin, gibt es wahrscheinlich keine Epoche, in der ich keinen Anschluss finden würde.
Kannst Du sagen, woher Deine Liebe zu Vintage stammt?
Der Ursprung liegt sicherlich in meiner Teenie-Zeit und dem typischen Wunsch nach Abgrenzung. Später habe ich mit dem Schwerpunkt Mode maturiert und begonnen, selbst Kleidung zu nähen und zu entwerfen. Ich hatte Glück, Mentor*innen gehabt zu haben, die das damals erlaubten. Verstärkt wurde die Leidenschaft dann während der drei Jahre in Paris, die ich mitten in der Branche verbrachte. Dort braucht man schnell seine eigene Nische, musste seinen persönlichen Stil finden und seinen handwerklichen und thematischen Fokus definieren, was bedeutet, dass man tief in die Recherche geht, um nach der eigenen Essenz zu suchen. Das Studium der Kunstgeschichte in Wien war demgegenüber sehr konservativ und ich wurde oft skeptisch beäugt und dafür belächelt, über Mode zu schreiben und sie mit Kunst in Verbindung zu bringen. Das hat meine Überzeugung allerdings noch mehr befeuert und so hat sich meine Liebe zum Thema Vintage eigentlich Schritt für Schritt herauskristallisiert.
Kunst und Mode haben für Dich also eigentlich schon immer zusammengehört.
Absolut. Für meine Matura-Prüfung musste ich 10 Themen ausarbeiten, darunter waren bei mir Versace, Barock und griechische Antike – quasi die Quintessenz der Dinge, die bei Gianni Versace kulminieren. Die Franzosen haben immer gesagt, je weiter die eigene Inspirationsquelle von der Mode entfernt ist, desto individueller werden die Ergebnisse aussehen. So hat es wirklich gut gepasst und meine Entwicklung sehr gefördert, dass ich Kunst und Mode ohnehin immer parallel gedacht habe, denn am Ende des Tages geht es in der Mode um Individualismus.
Verfolgst Du auch Moden der Gegenwart?
Auf jeden Fall und sie regen mich immer wieder auf. Ich habe Freunde in Paris, die in der zeitgenössischen Mode tätig sind und bekomme durch sie wunderbar mit, wie die Branche gerade funktioniert. Verfolgt man die aktuellen Entwicklungen zeigt sich schnell, dass es mehr darum geht, Business-Geschichte zu schreiben als Mode-Geschichte. Und dabei blutet mir das Herz.
Mir ist natürlich klar, dass es am Ende des Tages wirtschaftliche Unternehmungen sind, aber auch große Häuser wie Dior oder Chanel können nicht ewig von ihrer Geschichte zehren und müssen ihr irgendwann etwas hinzufügen. Man kann nicht immer nur aus demselben Korn noch feineres Pulver malen. Das funktioniert vielleicht eine gewisse Zeit lang. Aber irgendwann geht es nur noch darum, das zu produzieren, was in der vorausgegangenen Saison funktioniert hat. Und das ist eigentlich das Prinzip der Fast Fashion Unternehmen.
Im Sinne dessen, was über die Mode von heute in 100 Jahren gesagt werden wird, frage ich mich wirklich, warum diese Weitsicht fehlt? Aber natürlich gibt es Ausnahmen. Beispielsweise Daniel Roseberry, der für Schiaparelli gerade unfassbar tolle Sachen macht. Man merkt seinen Entwürfen an, dass er sehr belesen ist, den Markenkern aus den 20ern und 30ern verstanden hat und gleichzeitig so viel Kreativität besitzt, dass er ihn in den zeitgenössischen Wertekatalog einbinden kann und die Ergebnisse auch noch fabelhaft aussehen. Gerade Marken, die eine so lange und spannende Geschichte haben, beobachte ich natürlich weiterhin sehr gerne.
Wie sieht es denn mit Trends aus? Mich würde beispielsweise interessieren, was Du zu Athleisure sagst.
Da kann ich mich nur dem berühmten Satz von Karl Lagerfeld anschließen: „Wer Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ – auch, wenn er ihn irgendwann revidiert hat. (lacht) Aber Spaß beiseite: Ich finde Athleisure wirklich furchtbar – professionell und privat. Dieser Trend läutet für mich in gewisser Weise das Ende der Mode ein.
Kleidung aus Materialien wie Leinen oder Baumwolle enthalten wenig bis keinen Stretch und müssen geschneidert werden. Sie haben Nähte, die sich langsam um den Körper schmiegen und ihm im besten Fall schmeicheln. Athleisure-typische Kleidungsstücke wie Leggings oder Biker-Shorts bestehen in der Regel nur aus Lycra und Stretch. Sie werden nicht geschneidert, sondern einfach ausgeschnitten. Athleisure ist dadurch mit dafür verantwortlich, dass das Schneider-Handwerk immer weiter ausstirbt. In meinen Augen eine riesige Katastrophe.
Sich anzuziehen und rauszugehen oder auch zu Hause einen bestimmten Standard aufrecht zu erhalten ist für mich darüber hinaus ein Zeichen des Respekts mir und meiner Umwelt gegenüber. Und zu einem gepflegten Äußeren wird eine Jogginghose für mich nie gehören – auch nicht zu Hause. Roten Lippenstift trage ich selbst, wenn ich allein zu Hause bin. Bequemlichkeit wird schnell zu dem, was wir auf wienerisch einen Schlendrian nennen. Zu einer Ist-mir-eh-alles-egal-Einstellung. Und die ist mir zuwider.
Deswegen ist Glamour für Dich auch etwas alltägliches, richtig?
Genau. Ich habe diese Lebensart von meiner Mutter und Großmutter vorgelebt bekommen und führe sie selbst weiter. Ab und zu fragt mich meine Tochter, warum ich mich schick mache, wenn ich sie vom Kindergarten abhole. Ich sage ihr dann, dass es für mich keinen besonderen Anlass geben muss, um mich schön zu kleiden. Das ist einfach Teil meines Lebensgefühls. Als Mama werde ich oft gefragt, wie ich die Zeit dafür finde, meine Haare zu machen. Mittlerweile bin ich so geübt darin, dass ich vielleicht 15 Minuten mehr am Morgen brauchen. Die nehme ich mir gerne, wenn ich mich dadurch besser fühle.
Wenn ich Dich auf Instagram sehe kommt es mir oft vor, als wäre das für Dich eine Form von Self-Care. Andere meditieren stattdessen.
So ist es. Oder sie genießen ein Glas Wein am Abend. Ich bin übrigens fest davon überzeugt, dass die Geburt meiner Tochter meine Liebe zu Glamour und Faction noch mehr in mir verankert hat – gerade weil eben nicht mehr alles vollkommen automatisch passieren kann. Mit Baby sieht die Realität einfach anders aus und ich habe gemerkt, wie wichtig diese Themen für mich sind, um mich vollständig zu fühlen.
Die Geburt eines Kindes ist etwas wahnsinnig tolles. Gleichzeitig ist sie für Mütter oft ein einschneidendes Erlebnis im eigenen Identitätsempfinden. Als ich auf der ersten größeren Veranstaltung nach der Geburt endlich mal wieder Absätze tragen konnte, dachte ich direkt „Ich bin zurück.“ Spätestens in dem Moment habe ich gemerkt, wie sehr mir dieser Teil von mir gefehlt hat.
Könnte ein kleines bisschen Glamour auch anderen Müttern gut tun?
Als Mutter hat man viel zu tun und ist dabei oft alleine. Da gibt es ganz automatisch Tage, an denen man sich weder gut fühlt noch gut aussieht. Für mich war es deshalb sehr wichtig, für meine Zeit zu kämpfen und meine kleinen Glamour-Momente aktiv einzufordern. Jede Frau hat ein Kleidungsstück, in dem sie sich besonders wohl fühlt oder mit dem sie schöne Momente assoziiert. Diese Dinge nicht nur anzusehen, sondern am Körper zu tragen tut gut. Sie sind Teil unseres Ichs und bekommt man ein Kind, ist dieses Ich erstmal am Taumeln.
Für mich gilbt es zwei einfache Tipps, die direkt mehr Glamour in den Alltag bringen:
1. Rot geht immer – vor allem als Nagellack oder Lippenstift. Welche Variante am besten passt, hängt bei Müttern allerdings vom Alter des Kindes ab. Mit Babys ist Lippenstift unvorteilhaft, weil man ständig kleine Kinderhände im Gesicht hat. Mit Kleinkindern bastelt man viel, was den Nagellack schnell abnutzt.
2. Vintage-Glamour Mode ist oft schwarz-weiß. Das kann Chanel aus den 20ern sein, ein schicker Look mit schwarzem Rock und weißer Bluse aus den 50ern oder ein Powersuit der 80er und 90er mit breitem Revers. Genauso funktioniert ein hochwertiges Paar Budapester in schwarz weiß. Völlig egal, was man oben rum an hat – sobald man diese Schuhe trägt, ist man im Glamour-Game.
Das Thema Glamour steht bei Dir häufig in Verbindung mit exzentrischen Charakteren. Wie kommen diese beiden Elemente für Dich zusammen?
Ich habe mich schon immer für exzentrische Persönlichkeiten der Vergangenheit interessiert. Schon mit 12 Jahren war ich Fan von Marilyn Monroe, Madonna, Liz Taylor und Joan Collins. Damals fing ich damit an, Biographien von Menschen aus dem Show-Business zu lesen, was bis heute eine Leidenschaft von mir ist. Ich neige dazu, richtige kleine Obsessionen zu entwicklen für Biographien, die ich spannend finde. Gerade habe ich die Doppel-Biographie Gods and Kings über Alexander McQueen und John Galliano hier stehen. Ich bin gespannt, wohin sie mich führen wird.
Ist Mode für Dich ein Spiel?
Na klar. Eine Zeit lang hatte ich das Ziel, jeden Tag das Haus wie ein bestimmter Film- oder Seriencharakter zu verlassen. Auch das liegt ein bisschen in meiner Historie. Meine Spezialisierung in Paris war Kostümdesign für Film, Theater und Oper und ich habe selbst eine Zeit lang Theater gespielt. Wenn ich Kleidungsstücke kaufe, frage ich mich oft, wer sie wohl tragen würde. Ob es eine echte Person ist oder ein fiktionaler Charakter ist mir dabei nicht wichtig. Eine Zeit lang habe ich beispielsweise viele Outfits getragen, die von Samantha Jones aus Sex and The City hätten stammen können.
Wie gehst Du mit dem Thema Stil um?
Ich versuche zwei mal im Jahr – spätestens zum saisonalen Wechsel – meinen Kleiderschrank umzuräumen. Zuerst schaue ich, was ich aussortieren kann. Dann fange ich an, Outfits mit den übrigen Kleidungsstücken zusammenzustellen. Beginnt man einmal zu kombinieren, beantwortet sich die Frage nach dem eigenen Stil eigentlich von selbst. Hat man ein paar Outfits zusammen, muss man sich nur fragen, welche drei Adjektive die Looks am besten beschreiben.
Im Anschluss fotografiere ich alle Outfit-Kombinationen einmal ab und packe die Bilder in ein Album auf meinem Smartphone. So kann ich morgens in Ruhe meinen Kaffee auf der Couch trinken und dabei aussuchen, was ich tagsüber anziehen möchte. Beim Zusammenstellen der Outfits fällt üblicherweise auch auf, welche Teile nicht zum Rest passen. Für solche Fälle habe ich eine Notiz auf meinem Smartphone, auf der ich sammle, was mir zur Komplettierung der Outfits fehlt. Mache ich mir diese Mühe nicht, führt das dazu, dass ich immer das gleiche trage und spannende Kleidungsstücke in Vergessenheit geraten.
Ein super Tipp. So schafft man Veränderung ohne sich ständig etwas Neues zu kaufen.
Absolut. Und viele der Dinge, die ich im ersten Schritt aussortiere, verändere ich später. So passe ich bei manchen Kleidungsstücken die Größe an, frische bei anderen die Farbe auf oder ergänze andere um ganz neue Elemente.
Gerade den Aspekt der Pflege finde ich hier so wichtig.
Oh ja. Da merkt man, dass viele verlernt haben, Schuhe einfach zum Schuster oder Kleidung zum Schneider zu bringen. Nichts ist schlimmer als Reportagen, die zeigen wie Fast-Fashion Unternehmen alte Kleidung zurücknehmen und dafür neue günstiger verkaufen. Am Ende heißt es meistens, dass die Dinge nicht recycelt werden, sondern auf riesigen Müllhalden in Afrika landen. Dafür habe ich einfach keine Worte. Deshalb werbe ich dafür, maßvoll zu konsumieren, Qualität zu kaufen, sorgsam, mit der eigenen Kleidung umzugehen und wenn etwas nicht mehr gefällt, vielleicht sogar kreativ zu werden. Glücklicherweise sieht man ja durch den wachsenden Second Hand Markt auch ein Umdenken, aber there is still a long way to go.
Auf Deinem Instagram-Profil habe ich vor kurzem gelesen „Twenty Century Fashion played a key role in the history of women“. Wie meinst Du das?
Die Modegeschichte des 20. Jahrhunderts hat die Emanzipation der Frau begleitet und teilweise sogar geprägt. Ihre Entwicklung sagt viel über die Stellung der Frauen jener Zeit. Gabrielle Chanel war beispielsweise die Erste, die Sportstoffe, für die Anfertigung von Kostümen nutzte. Damit leitete sie den Weg der Frau vom starren Korsett zu Dynamik und Beweglichkeit und hat in den 20er Jahren gezeigt, dass die Frau mehr sein kann als die eingeschnürte, hoch dekorierte Trophäe des Mannes.
Oder die Hippies, die in den 60er Jahren die sexuelle Befreiung mit dem Minirock zelebrieren. Power-Dressing ist ein weiteres Beispiel. Als in den 80er und 90er Jahren endlich ein paar Frauen den Seat at the Table eingenommen haben, wurden in der Mode die Schulterpartien breiter. Solche Entwicklungen finde ich unglaublich spannend, denn niemand steht im Hintergrund und orchestriert das Geschehen. Indem alle langsam mitmachen, entwickelt sich etwas, das die Franzosen Air de Temps nennen – der Zeitgeist wird sichtbar.
Hast Du im 20. Jahrhundert modische Vorbilder, die auch heute noch Bedeutung haben?
Auf jeden Fall Gabrielle Chanel, die als Frau sehr früh ein selbstbestimmtes Leben geführt und aus bitterer Armut ein Imperium geschaffen hat. Sie hat bis zum Ende darauf bestanden, Mademoiselle genannt zu werden, um zu zeigen, dass sie nicht verheiratet ist. Das hat damals für viel Furore gesorgt. Wenn man ihre Biographie liest, merkt man, dass sie gleichzeitig eine sehr einsame Frau war. Gerade das finde ich besonders interessant an ihrer Geschichte.
Ich war nie interessiert an idealen Held*innen mit spektakulären Erfolgsgeschichten. Es ist doch viel inspirierender, vielschichtige Charaktere kennenzulernen. Aktuell wird viel über die amouröse Liaison von Gabrielle Chanel mit einem deutschen General und ihre Verbindungen zu den Nazis während des 2. Weltkriegs gesprochen, was mit Annahmen über ihre politische Einstellung einhergeht. Für mich sind gerade diese potenziellen Skandale das Spannende und niemals ein Grund, den Wert ihres beruflichen und emanzipatorischen Erbes in Frage zu stellen.
Ein sehr aktuelles Beispiel ist Joan Collins. Sie ist mittlerweile 90 Jahre alt, eine der letzten lebenden Hollywood Diven und noch immer im Rampenlicht. Diese Frau hat in den 50ern mit Paul Newman gedreht und ist in den 80ern durch den Denver Clan zu Weltruhm gekommen. Gefühlt hat sie 10 Leben geführt – und alle Glamour und Genuss verschrieben.
Lebst Du Deine Liebe zur Vergangenheit, zur Mode und zum Glamour auch beruflich aus?
Beruflich befinde ich mich gerade in einer Phase des Umbruchs. Ich habe in den letzten Jahren viel in der Kunst und im Marketing gearbeitet. Als ich im letzten Jahr die Lust auf eine Veränderung gespürt habe, stellte ich mir die Frage, wie ich meine Liebe zu Reisen, Kunst, Vintage und Glamour unter eine Hut bringen kann.
Heute biete ich Reisen und Tour-Programme an, die ich FACTION DAYS nenne. Dabei tauche ich mit Kleingruppen über einen Nachmittag oder ein paar Tage in (kunst-)historische und modische Kapitel einer Stadt ein. Während der FACTION DAYS LONDON haben wir uns im Oktober beispielsweise mit glorreichen Frauen befasst. Teil dieser Reise waren beispielsweise Ausstellungsbesuche bei Chanel, Marina Abramović und einer Ausstellung zum Phänomen der Diva. Zwischendurch haben wir historische Lokalitäten aufgesucht, beispielsweise einen Afternoon-Tea im Ritz zu uns genommen und natürlich ein bisschen Vintage geshopped. Das Highlight war dann der Besuch einer Show von Joan Collins, bei der sie über ihr Leben und ihre Erfahrungen im Show-Business geplaudert hat. Dieser Tage starten außerdem die FACTION DAYS VIENNA: Programme, die ins Wien um 1900 entführen. Während eines Nachmittags kann man sich mit mir Porträts von Gustav Klimt und Möbel der Wiener Werkstätte anschauen und dann eine Wiener Mélange in einem historischen Kaffeehaus genießen. Langfristig werde ich diese Reisen in Paris, London und Wien anbieten.
Warum lohnt sich der gelegentliche Blick in die Vergangenheit so sehr für Dich?
Ich bin ein sehr zufriedener Mensch. Trotzdem ist unsere Welt – ich denke da gerade vor allem an Social Media und an das Leben in Großstädten, in denen wir mit unglaublich vielen Menschen und Meinungen zusammentreffen – häufig oberflächlich, unglamourös und negativ.
Eine Reise in die Vergangenheit – ob beim Museumsbesuch, beim Cocktail in einem historischen Lokal oder einfach beim Auftragen eines roten Lippenstifts – reduziert für mich das Tempo der Gegenwart und zeigt mir, worauf es wirklich ankommt. So glamourös die Settings manchmal sind – am Ende sitzt man irgendwo und genießt ein Getränk oder flaniert durch eine Ausstellung. Das sind erstmal sehr einfache Tätigkeiten. Gerade deshalb schenken sie mir aber Ruhe und erinnern mich daran, dass das damalige Leben in vielerlei Hinsicht lebenswerter war. Ich denke da vor allem an Manieren und Vorstellungen von Würde und Respekt. Und das beginnt schon damit, dass ich mich schön anziehe, gepflegt vor die Tür gehe und gute Konversation betreibe. Das alles sind Dinge und Verhaltensweisen, die uns und unser Dasein als Menschen formen und die uns immer mehr abhanden kommen.
Ich weiß was Du meinst. Hörst Du auch so oft, dass viele Menschen sich nicht mehr darauf konzentrieren können, in Ruhe ein Buch zu lesen.
Unglaublich oder?! Ständig Informationen über das Smartphone, Tablet oder den Computer aufzunehmen ist einfach etwas anderes, als mit einer Zeitung in einem Kaffeehaus zu sitzen. Ich merke selbst, wie meine Aufmerksamkeit manchmal schwindet und ich immer ungeduldiger werde. Es ist mir ein Rätsel, warum nicht viel mehr Menschen aktiv aus diesen Umgebungen flüchten und andere – im Zweifel vergangene – Alltagspraxen etablieren.
Stellst Du Dich eigentlich optisch auf die Charaktere der Biographien ein, über die Du gerade liest?
Da bringst Du mich auf eine Idee. (lacht) Aber soweit bin ich bisher noch nicht gegangen. Meine Held*innen habe ich eigentlich immer dabei. Meine Frisur stammt von Marilyn, meine surrealistischen Taschen erinnern mich an Elsa Schiaparelli, Salvador Dalí und Rene Magritte und durch meine geliebten Chanel Ballerinas habe ich mit Coco immer einen Spaziergang offen. Wenn ich mich intensiv mit historischen Charakteren beschäftige – so war es zuletzt mit Peggy Guggenheim – beeinflusst das aber tatsächlich mein Reise- und Konsumverhalten. Üblicherweise besorge ich mir dann ein oder zwei besondere Dinge, die ich in mein Alltagsrepertoire aufnehme.
Hast Du vielleicht noch ein paar Buchtipps zum Abschluss? Welche Biographien haben Dir besonders gut gefallen?
Eine, mit der ich mich kürzlich beschäftigt habe ist ‚Leben mit Picasso‘ von Francois Gilot. Angeblich war sie die einzige Frau, die den Künstler jemals verlassen hat – und Picasso hatte zahllose Partnerinnen – teilweise mehrere zur gleichen Zeit. Francois hat ein Buch über die knapp 10 Jahre geschrieben, die sie mit ihm verbracht hat. Beim Lesen habe ich viel über die 40er und 50er Jahre und natürlich auch über Picasso und sein Leben erfahren. Es erzählt die beeindruckende Geschichte einer Frau, die ihren Weg gegangen ist trotz der Beziehung zu einer lebenden Legende. Gilot war Malerin und Dichterin und ist im Juni diesen Jahres – mit fast 102 Jahren – gestorben.
Außerdem natürlich ‚Allure‘ von Diana Vreeland und ‚Durch Mauern gehen‘, die Autobiographie von Marina Abramović.