„Hauptsache nichts mit Menschen.“ – mittlerweile nicht nur mehrfacher Buch- und Filmtitel, sondern beliebter T-Shirt Spruch und ironischer Ausruf vieler, die vor der Berufswahl stehen. Auch ich gehörte mal zu jenen, die diesen Satz genau in dieser Zeit so leicht daher sagten. Doch das einzige, was er damals über mich aussagte, war wohl mein Unvermögen, die Realität klar zu sehen.
Dora, die Protagonistin des neuen Romans von Juli Zeh „Über Menschen“, scheint es ähnlich zu ergehen. Mit dem Verlauf der Corona-Krise musste sie sich nicht nur von ihrem Job als Texterin in einer Werbeagentur trennen, sondern gleich auch von ihrem Freund und ihrer Wohnung. Statt in Berlin findet sie sich einem spontanen Impuls folgend in dem kleinen Dorf Bracken wieder, wo sie schnell Bekanntschaft mit ihrem neuen Nachbarn macht: Dem selbsternannten Dorf-Nazi Gote.
Mit diesem Plot scheint Juli Zeh eine der Ersten zu sein, die in Deutschland einen sogenannten Corona Roman veröffentlicht. Im Vordergrund steht allerdings nicht die Pandemie, sondern abermals der Bruch, der unsere Gesellschaft in (mindestens) zwei Lager zu teilen scheint und die Frage danach, wann, wie und ob offener Diskurs noch möglich ist.
Dora lernt schnell, dass es unter Leuten nicht leicht ist, sich über Menschen zu erheben. Und so schwankt sie immer wieder hin und her zwischen den Ausläufern der Berliner Großstadt-Blase und der engen Behaglichkeit des Dorfes. Zwischen Hass und Sympathie. Freundschaft und Konflikt.
Es scheint mir eine der besonderen Stärken des Romans, dass er mich als Leser immer wieder auf mich selbst zurückfallen und mein eigenes Urteil hinterfragen und revidieren lässt. Das offenkundige Fehlen von schwarz und weiß in einer Thematik, die eigentlich so klar kontrastiert scheint, hat bei mir nicht nur erneut das Gefühl für deren Komplexität verstärkt, sondern auch meinen Blick für die Schattierungen unserer Welt und die Menschen in ihr leben, geschärft. „Über Menschen“ zeigt, dass nicht Sprechen, sondern Handeln letztlich unser Wirken in der Welt widerspiegelt und dass es am Ende das Zwischenmenschliche ist, was Leben ausmacht.
Larissa Lenze
Larissa bewegt sich zwischen Menschen, Marken und Medien. Als Kulturwissenschaftlerin und Marketingstrategin beobachtet sie Medien- und Zeitgeschehen und spricht mit Menschen, die es mit besonderen Impulsen bereichern.