Der Diskurs um künstliche Intelligenz bleibt auch nach vielen Monaten noch Thema von Mediendebatten und Tischgesellschaften. Im Fokus der Allgemeinheit seit der Veröffentlichung von ChatGPT im November 2022 scheint der Hype zwar langsam abzuflachen, das Interesse bleibt aber zurecht bestehen.
Morals & Machines – eine Veranstaltung der Organisation ada – bewegt sich abseits click-bait-tauglicher Headlines und geht einen Schritt weiter. Die jährlich stattfindende Konferenz beschäftigt sich mit den (technik-)philosophischen Themen, die der Debatte zu Grunde liegen und fragt unter anderem: Können wir dafür sorgen, dass die Technologie von morgen unsere ethischen Werte widerspiegelt? Wie wird man sich an unsere Entscheidungen erinnern? Was ist unser technologisches Erbe? Und: Bauen wir gerade die Zukunft, die wir wollen? Eine Reihe von Redner*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Technologie und Politik traf sich am 25.05.2023 in München, um diese und weitere Fragen zu diskutieren.
Morals & Machines – The Imitation Game
Unser Technologieverständnis beeinflusst unseren Umgang mit Technologie – mit dieser These legen die ada-Gründerinnen Dr. Léa Steinacker und Prof. Dr. Miriam Meckel den Grundstein der eintägigen Debatte zur künstlichen Intelligenz. In der Produktion von Maschinen imitieren wir uns als Menschen. Dieses „Imitation Game“ – wie sie es mit Referenz auf Alan Turing und den sogenannten ‚Turing Test‘ bezeichnen – sollte uns bewusst sein, denn es ebnet uns den Weg, die wirklich bedeutsamen Fragen zu stellen.
AI Systeme sind schon lange im Gebrauch, doch in den letzten Jahren wurden KI-basierte Anwendungen wie Chat GPT, Midjourney oder Runway ML durch Application Layer für so gut wie jeden nutzbar. Trainiert auf einer unvorstellbaren Menge von Daten, deren Ursprung weiterhin im Unklaren bleibt, geht die Entwicklung mit Fragen um Transparenz, Manipulation, Urheberrecht, Produktivität, Jobsicherheit, Demokratisierung und Missinformation einher:
Sollten wir darüber informiert werden, wenn wir mit KI-Anwendungen interagieren? Würde eine Kennzeichnungspflicht bei Inhalten, die mit KI generiert wurden, unsere Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit erhalten? Wie wirkt sich generative KI auf unser ohnehin angekratztes Vertrauen in Fotos, Videos und Stimmen aus? Was geschieht mit einer Gesellschaft, die sich auf keine Realität mehr einigen kann? Wie befreien wir die Trainingsdaten der Systeme von sogenannten ‚Bias‘, die ihre Ergebnisse beeinflussen? Wann sprechen wir über Urheberrechte, Menschenrechte und die riesigen Energiemengen, die in der Entwicklung und Nutzung von generativer KI verbraucht werden? Und: Wie kann eine sinnhafte Regulierung stattfinden, die den unterschiedlichen Interessen unserer globalen Gesellschaft gerecht wird und gleichzeitig den schnellen Entwicklungen der Technik schritthält?
Ein Blick in die Vergangenheit
Die Fragen und Impulse, die von den Teilnehmenden der Morals & Machines aufgeworfen werden bestärken und überwältigen mich im gleichen Moment. Denn all diese Themen zu vereinen und anwendbare Lösungsvorschläge zu formulieren heißt für mich, dass Politik, Wirtschaft und Wissenschaft nicht aneinander vorbei, sondern zusammen arbeiten müssen.
In Ihrer Keynote Lessons from History: What the Telegraph taught us about AI erzählt Dr. Genevieve Bell von einer Gruppe von Menschen, die 1948 zusammenfand, um sich zu überlegen, wie die Zukunft aussehen wird. Sie sahen die Potenziale und Gefahren der Computer und wollten ihre Entwicklung in positive Bahnen lenken. Es handelte sich um die Begründer*innen der Kybernetik – einem Feld, dass sich über Technologie, Menschen und ihre Umgebung austauscht. Die Grundlage ihrer Herangehensweise erinntert mich an Tourings ‚Imitation Game‘: es geht darum, die richtigen Fragen zu stellen.
Was liest ein CEO im Sommerurlaub?
Schauen wir auf die Geschichten, die wir uns erzählen, wenn es um den Umgang mit Technologie geht, denken wir schnell an Frankenstein, Pinoccio oder den Golem. Sie sind der Ursprung von Ängsten, die unserer heutigen Sicht auf Technologie zu Grunde liegen und werden häufig als Metaphern herangezogen, wenn es um die menschliche Beziehung zu Technologie geht.
Auch im Impuls von Prof. Dr. Jan Oliver Schwarz mit dem Thema “Foresight and science fiction” geht es um den Zusammenhang von Geschichten und Technologie. Indem er den Blick zurück in die Zukunft richtet, will Schwarz dazu anregen, neben Sachbüchern auch Science Fiction auf der privaten und beruflichen Leseliste zu befördern. Da Literatur ihm zufolge nicht nur reflektiert, was in einer Gesellschaft passiert, sondern gleichzeitig beeinflusst, worüber in ihr gesprochen wird, kann sie ein bedeutsamer Einflussfaktor für technische Entwicklungen sein.
Die Art und Weise, wie wir Realität konstruieren, basiert darauf, welche Geschichten wir – über Bücher, Filme, Serien oder andere Medien – konsumieren. Geschichten gestalten auf diese Weise mögliche Zukünfte, was gerade das Science-Fiction Genre zu einem interessanten Input für all diejenigen macht, die darüber nachdenken, wie die Zukunft aussehen könnte.
Zeit, um weiter zu denken
Inspiriert und überwältigt endet mein Tag auf der Morals & Machines. Was ich mitnehme, sind Denkimpulse und Fragen, auf die es wahrscheinlich nie eine abschließende, aber immer eine weiterführende Antwort geben wird. Und genau das scheint mir auch das zentrale Learning dieses Tages: um als Einzelne und als Gemeinschaft mit den aktuellen und zukünftigen Entwicklungen im Bereich Technologie umgehen zu können, gilt es, mit ihnen zu wachsen. Und vielleicht sind es gerade Technologien, die uns dazu anregen, unsere eigenen Fähigkeiten zu erweitern.
Da wir als Menschen über die Daten, die wir produzieren außerdem den Input liefern, durch den die maschinellen Systeme lernen, sollten wir nicht nur unser Handeln, sondern auch unser Denken im Auge behalten und gerade die ethischen Fragen, die beidem zu Grunde liegt, nicht außer Acht lassen. Morals & Machines trägt für mich Jahr für Jahr einen Teil dazu bei, genau das zu tun.
Titelbild: Alina Gross