Frühling. Ein paar Vögel zwitschern. Die Geräusche spielender Kinder dringen von der Straße in meine Wohnung. Die Sonne scheint.
Hinter verschlossenen Fenstern genieße ich das Schauspiel. Ein bisschen ärgert es mich, nicht selbst Teil des Treibens sein zu können, doch ein Blick in mein Bücherregal muntert mich auf.
21 Lektionen für das 21. Jahrhundert, ein Buch, dass lange auf den richtigen Zeitpunkt gewartet hat. Nun ist er gekommen. Pollen sei dank! Ich begebe mich auf eine geistige Reise durch die Gegenwart, der ich mich physisch gerade nicht gewachsen fühle.
Bereits die ersten Seiten reißen mich aus dem allergischen Tiefschlaf. Harari’s Worte setzen sich fest, bringen den eingestaubten Gedankenfluss wieder in Bewegung und ziehen Ereignisse der vergangenen Tage mit sich. Ich denke an meinen Kinobesuch vom Vorabend.
Avengers. Endgame. Eigentlich kein Fan actionreicher Blockbuster hat Marvel mit den grundlegenden Konflikten des Zweiteilers einen Nerv bei mir getroffen: Überbevölkerung. Kampf um Ressourcen. Macht. Verantwortung.
Endgame beginnt mit dem Leben danach. Die Katastrophe ist passiert. Die Hälfte der Lebewesen im Universum ausgelöscht. Ein Szenario, das zum Ende des letzten Films zahlreiche Fragen unbeantwortet lies: Was würde passieren? Wie würden die gefallenen Helden mit ihrer Niederlage umgehen? Was würden die Verbliebenen aus den Trümmern erschaffen? Eine einmalige Chance, typische Muster des Superhelden-Genres zu durchbrechen und dem fortschrittlichen Image von Charakteren wie Iron Man endlich gerecht zu werden. Meine Hoffnung: Mut. Vision. Innovation. Eine zukunftsgewandte jetzt-erst-recht-Mentalität, ein ruhmreiches Finale, das die Zuschauer aus den Kinosesseln reißt und motiviert aus dem Avengers-Universum in die Realität entlässt.
Marvel’s schlichte Antwort: Zeitreisen. Anstatt etwas Neues zu Schaffen und aus Fehlern zu lernen, verbleiben die Helden gedanklich im Gestern und verstecken sich hinter einer Lösung, die eigentlich keine ist. Was würde Harari dazu sagen?
Es ist kein Geheimnis, dass Kino noch immer eines der wirkungsvollsten Instrumente ist, um Menschen zu erreichen. Versunken im traumähnlichen Ablauf des Filmes verankern uns die überdimensionierte Leinwand und die Abwesenheit üblicher Ablenkungen fest im Geschehen. Der perfekte Moment, die Gedanken gerade derer anzuregen, die über Bücher schwer zu erreichen sind.
Endgame, ein Epos von drei Stunden und einer Minute. Ein Film, der aktuell alle Kinorekorde bricht und das Potenzial hat, erfolgreichster Film aller Zeiten zu werden, verschenkt eben diese Chance, Millionen Zuschauer nicht nur gut unterhalten, sondern vor allem mit einem optimistischen Blick auf die Zukunft aus dem Kino zu entlassen.
Harari dagegen bleibt positiv. Zeigt Herausforderungen und Möglichkeiten. Gibt zu, dass viele Gedanken nicht zu Ende gedacht und viele Wege offen sind. Natürlich hinkt der Vergleich zwischen Sachbuch und Blockbuster gewaltig. Doch am Ende sind es doch die Medien, die einen großen Teil zur allgemeinen Stimmung beitragen. Und umso trauriger ist es, dass gerade jene, die eine breite Masse erreichen, lieber Erwartungen erfüllen und bekannte Wege gehen als positiv zu stimmen und zum Nachdenken anzuregen. Und das, obwohl doch einer der Grundsteine des Marvel-Kinos besagt: Aus großer Kraft, folgt große Verantwortung.