Ich erwache aus einem schlechten Traum. Es dämmert, ist aber noch so dunkel im Zimmer, dass ich die Augen wieder schließe. Im Umdrehen dennoch ein unsicherer Blick auf die Uhr. Kurz vor sechs, gleich klingelt der Wecker.
Als ich die Fenster öffne, zieht kalte Luft an mir vorbei in den Raum. Es ist der erste Morgen seit langem, an dem ich mir eine Decke mit in den Sessel nehme und eine Kerze anzünde. Der Sommer geht zu Ende, die Jahreszeiten sind im Wandel und neben mir liegt das erste Buch des anbrechenden Herbstes.
Katie Kitamuras ‚Intimitäten‘ erzählt von den ersten Monaten einer Dolmetischerin am Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Es geht um die Suche nach Zugehörigkeit, nach Orten und Menschen, die man Zuhause nennen kann, nach Halt im Außen und in sich selbst.
Am Erleben der Protagonistin verhandelt Kitamura die Macht der Sprache. Ihr Roman wirft die Fragen auf, wie Sprache über Nuancen, Intenition und Haltung unsere Erzählungen formt, wie wir durch sie Wirklichkeit gestalten, welche Macht sie uns verleiht und wie sie – bewusst oder unbewusst – Verbindungen schafft.
Das Geschehen bewegt sich dabei zwischen Inszenierung und Glaubwürdigkeit und bleibt nicht selten im Ungewissen. Es geht um Vergessen und Akzeptanz. Um Durchlässigkeit und Abgrenzung und die unfreiwillige Tiefe, die Beziehungen annehmen können, wenn wir verletzlich und unsicher sind.
‚Intimitäten ist ein Roman, der für mich mit dem Gefühl von Dunkelheit, kühler Meeresluft und neuen Begegnungen auf wunderbare Weise den Herbst eingeleitet hat. Es ist ein Buch der Nuancen und Zwischentöne, das mich mit der Frage zurücklässt, was es braucht, um sich zwischen Sprachen, Orten und Identitäten selbst zu verlieren… .
Rezensionsexemplar | Werbung | Hanse Literatur
Larissa Lenze
Larissa bewegt sich zwischen Menschen, Marken und Medien. Als Kulturwissenschaftlerin und Marketingstrategin beobachtet sie Medien- und Zeitgeschehen und spricht mit Menschen, die es mit besonderen Impulsen bereichern.