Abseits von Lifestyle-Brands und Leuchtreklamen sind sie zu finden: die kleinen, unscheinbaren Orte, an denen man – oft aus Unachtsamkeit – viel zu schnell vorbeigeht. Dabei verdienen gerade jene, die am wenigsten nach Aufmerksamkeit schreien, sie oft am meisten. Einer dieser Orte ist Ashtanga Yoga Düsseldorf.
Inspiriert von meinem Gespräch mit Grischa Steffin in Berlin packte mich im vergangenen Jahr die Lust, tiefer in das Thema Ashtanga Yoga einzutauchen. Es traf sich gut, dass ich nur wenige Wochen nach unserem Interview die Düsseldorferin Silke Hurtz kennenlernte. Silke ist passionierte Yoga-Lehrerin und feiert diesen Sommer das zehnjährige Bestehen ihres Studios: Ashtanga Yoga Düsseldorf. Begeistert von Silkes herzlicher Art und dem wunderbaren Ort, den sie im Herzen der Stadt geschaffen hat, habe ich es mir nicht nehmen lassen, mich auch mit ihr über die Yoga-Welt auszutauschen.
In unserem Interview erzählt Silke, wie Yoga ihr Leben durchdringt und welche Bedeutung die Yoga-Philosophie für sie im Beruf wie auch im Privatleben hat. Wir sprechen über die Vorteile, die entstehen, wenn Menschen Yoga praktizieren, gehen auf die Unterschiede zwischen Ashtanga und anderen Yogastilen ein und widmen uns der Verantwortung heutiger Yoga-Lehrender an der Schnittstelle zwischen Tradition und Moderne.
Liebe Silke, danke, dass Du Dir die Zeit nimmst, um mit mir ein bisschen über Yoga zu philosophieren. Lass uns ganz leicht einsteigen: Was unterscheidet Yoga für Dich von anderen Sportarten?
Ich würde Yoga nicht als Sportart bezeichnen. Für mich ist es eher ein ganzheitliches Übungssystem aus Bewegung, Philosophie und Geistesschulung. Selbst wenn man sich primär auf den körperlichen Aspekt der Praxis konzentriert, ist diese Verbindung spürbar.
Für mich ist Yoga eine innere Einkehr, eine Arbeit an mir selbst, bei der es eigentlich um die Stille meiner Gedanken geht. Dieses Ergebnis kann ich vielleicht auch ab und an durch Sport erreichen, aber im Yoga ist es das Ziel der Praxis. Die Bewegung ist nur der Weg dahin.
Sollten in Deinen Augen mehr Menschen Yoga praktizieren?
Yoga ist eine Möglichkeit, immer wieder mit sich selbst in Kontakt zu treten und sich jeden Tag auf’s Neue zu fragen: wo stehe ich gerade? Wie geht es mir? Wo will ich hin? Diese bewusste Einkehr – gerade am Morgen – lässt uns den Tag anders beginnen und unsere Umwelt anders wahrnehmen. Durch Yoga treten wir erst in Verbindung mit uns selbst und dann mit dem Außen. Ich könnte mir vorstellen, dass unsere Welt ein bisschen anders aussehen würde, wenn das mehr Menschen tun würden. (lacht)
Wie stehen Yoga und Meditation für Dich miteinander in Verbindung?
Ashtanga Yoga ist für mich heute eine Form von Meditation. Das gilt selbstverständlich nicht für Anfänger – die sind in der Regel erstmal damit beschäftigt, Kopf und Körper auf eine Linie zu bringen. (lacht) Aber praktiziert man eine längere Zeit und etabliert Routinen, kommt man spätestens über die bewusste Verbindung mit dem eigenen Atem irgendwann bei sich selbst an. Diese besondere Form der Einkehr habe ich immer schon als Meditation in Bewegung empfunden. Meditation entsteht dadurch, wenn wir für längere Zeit unseren Geist auf eine Sache ausrichten – und das versuchen wir im Ashtanga grundsätzlich immer.
Welche Rolle spielt die Yoga Philosophie in Deinem Arbeits- und Privatleben?
Privat beschäftige ich mich viel mit der Yoga-Philosophie – vor allem durch Bücher, Fortbildungen oder meine persönliche Reflexion. Beruflich vermittle ich dagegen eher selten konkrete Inhalte aus den alten Schriften. Die Lehren und Erkenntnisse fließen eher indirekt in meine Arbeit ein: durch die Art, wie ich meine Schule führe. Dadurch, wie ich unterrichte oder auch in Form der Wertschätzung, die ich meinen Schülerinnen entgegenbringe. Mir ist es wichtig, hier niemanden mit zu viel Input zu überfordern, sondern eher durch das Vorleben zu inspirieren. Wer mehr wissen will und Lust hat, tiefer in die Philosophie einzutauchen, kommt meist ganz von selbst auf mich zu und beginnt Fragen zu stellen. Für fortgeschrittene Schülerinnen, die lange genug dabei sind, halte ich auch schonmal einen Vortrag zur Philosophie, aber bei Anfängern würde ich das immer organisch entstehen lassen.
Was verpassen Yogis, die nicht in die Yoga-Philosophie eintauchen?
Yoga ist eine gute, die Gesundheit erhaltende Praxis mit vielen physischen Vorteilen, die sich durchaus auch als reine ‚Gymnastik‘ üben lässt. Doch es hat so viele weitere Qualitäten, dass es schade wäre, sie einfach beiseite zu lassen. Mich hat Yoga bereits durch einige Krisen getragen. In einer schweren Lebensphase ist Bewegung alleine für mich nicht ausreichend. Antworten finde ich in solchen Momenten in der Philosophie.
Die Yoga-Texte funktionieren für mich wie ein Spiegel, der mich immer wieder auf mich selbst zurückwirft. Das finde ich sehr schön, denn niemand diktiert etwas von oben herab. Vielmehr bekommen wir Impulse, die uns zeigen, an welcher Stelle wir Antworten finden können. Eine meiner Schülerinnen ist sehr aktiv im Umweltschutz und sagte irgendwann zu mir, ihr Engagement sei aus dem Yoga entstanden – ganz einfach durch das jahrelange Üben. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, wie viel Philosophie wirklich im Yoga verborgen liegt.
Wie bist Du zum Yoga gekommen und Lehrerin geworden?
Ich habe Yoga mit Anfang 20 für mich entdeckt. Meine größte Inspiration war zu dieser Zeit meine Lehrerin. Von ihr ging ein Strahlen aus, das eine starke Anziehung auf mich hatte: deswegen war ich vor allem am spirituellen Aspekt der Praxis interessiert, denn ich wollte irgendwann genau so strahlen wie sie. Mit Anfang 30 habe ich dann die Ausbildung gemacht.
Und wie war dann Dein Weg zum Ashtanga?
Zum Ashtanga bin ich eher zufällig gekommen. Ich wollte eine Berufsausbildung beim BDY (Bund deutscher Yogalehrer) machen, um einen zertifizierten Abschluss vom Berufsverband zu bekommen. Damals gab es entweder das oder man musste nach Indien. Mit zwei kleinen Kindern war das für mich keine Option. Der Ausbildungsort musste gut erreichbar sein. Glücklicherweise wurde in Köln gerade eine Ausbildung für Ashtangalehrerinnen angeboten und nach einer ersten Probestunde entschied ich mich direkt mitzumachen.
Heute bin ich sehr glücklich, dass es genau so gekommen ist. Ashtanga ist tatsächlich die einzige Yogaart, die ich mir vorstellen kann langfristig zu unterrichten. Ich liebe den Mysore Style, weil meine Schüler in dieser Unterrichtsform üben, ohne dass ich parallel alles ‚vorturnen‘ muss. Dadurch habe ich als Lehrerin die Möglichkeit, sie individuell bei ihrer Praxis zu unterstützen. Dieser enge Kontakt ist mir sehr wichtig.
„Nichts bleibt einfach stehen und auch Yoga ist ständig im Wandel.“
Welche Unterschiede siehst Du zwischen Ashtanga und anderen Yogastilen?
Wir unterscheiden üblicherweise zwischen den eher traditionellen Yogastilen wie Ashtanga, Iyengar, Hatha Yoga und dem eher modernen Vinyasa. Noch ausgefallener sind dann Entwicklungen wie Faszien Yoga oder Dance Yoga – da gibt es mittlerweile vieles wo ich mich frage, warum es überhaupt noch Yoga genannt wird.
Der wesentliche Unterschied zwischen Ashtanga und anderen Stilen ist wahrscheinlich, dass wir die immer gleiche Serie üben – das macht überhaupt erst eine Unterrichtsform wie den Mysore Style möglich. Leider hält gerade dieses selbstständige Üben viele davon ab, mit Ashtanga Yoga zu beginnen. Sie übersehen dabei in meinen Augen die riesengroße Qualität, in der Bewegung mit ihrer eigenen Atmung zu gehen und ihre Praxis ihrer individuellen Tagesform anpassen zu können.
Auch älter werden ist hier ein Thema: mit 50 übt man in der Regel nicht mehr wie mit 20, kann aber noch immer Ashtanga im Mysore Style praktizieren. Es ist eine Bewegungsform, die sich der Lebenssituation anpasst. Ich bin nicht so streng mit den Serien und schaue, was das Beste für die Praktizierenden ist. Wenn Du in eine Vinyasa Klasse gehst, hat niemand die Möglichkeit die Praxis an Deine individuellen Bedürfnisse anzupassen. Da machst Du mit oder eben nicht. Im Ashtanga gibst Du die Verantwortung nicht an jemand anderen ab, sondern trägst sie selbst.
…und arbeitest dadurch wahrscheinlich sogar noch bewusster, weil Du nicht die ganze Zeit im Außen beim Lehrenden bist.
Absolut! Durch die Eigenpraxis bist Du mit Deinem Inneren konfrontiert statt im Außen eine Form zu erfüllen. Wenn Du wie beim Vinyasa nicht weißt, welche Asana als nächstes kommt, bist Du immer auf die Lehrenden angewiesen und musst schauen was sie tun.
Man liest häufig, dass Ashtanga täglich praktiziert werden sollte. Warum ist das so und wie viele Deiner Schülerinnen bei Ashtanga Yoga Düsseldorf machen das wirklich?
Die Tradition sagt, dass man sechs mal die Woche üben sollte. Ein Tag ist frei, das war traditionell in Mysore (Indien) immer der Samstag. Außerdem übt man nicht an Neumond und Vollmond und bei Frauen setzt man ebenfalls ein bis zwei Tage während der Periode aus. Bei mir in der Schule schaffen nur wenige wirklich in dieser Regelmäßigkeit zu praktizieren – doch natürlich hat sie einen Sinn: Im Ashtanga üben wir täglich die gleiche Serie. Durch die Wiederholung können wir bewusst wahrnehmen, wie es uns geht und in welcher Form wir sind. Unsere Praxis ist hier wie ein Spiegel. Würde man jeden Tag etwas anderes üben, würden Unterschiede deutlich weniger auffallen.
Warum ist es im Ashtanga besonders wichtig, dass ein Lehrender beim Üben anwesend ist?
Gerade weil man immer das Gleiche macht, ist eine regelmäßige Korrektur in meinen Augen essentiell. Denn wer immer das Gleiche ein bisschen falsch macht, erhöht sein potenzielles Verletzungsrisiko. Eine Überprüfung muss dabei nicht täglich stattfinden, aber Ashtanga ausschließlich alleine zu üben, fände ich fast ein bisschen fahrlässig. Auch ich fahre mindestens ein bis zweimal im Jahr zu Lehrenden, um meine eigene Praxis korrigieren zu lassen.
Darüber hinaus ist es mir wichtig, die Linie der Lehrenden weiter zu verfolgen. Ashtanga Vinyasa Yoga wurde von Sri K. Pattabhi Jois (2015-2009) unterrichtet, er selber hat von seinem Meister T. Krishnamacharya (1888-1989) gelernt. Diese kontinuierliche, direkte Weitergabe der Tradition empfinde ich als wirklich bereichernd. Es ist wunderbar, jemanden zu finden, dem man vertraut und mit ihm eine langfristige Lehrer-Schüler-Verbindung aufzubauen.
„Mir ist es wichtig, die Linie der Lehrenden weiter zu verfolgen. Es ist wunderbar, jemanden zu finden, dem man vertraut und mit ihm eine langfristige Lehrer-Schüler-Beziehung aufzubauen.“
Was geht Deiner Ansicht nach verloren, wenn diese enge Lehrer-Schüler-Verbindung nicht besteht. Schließlich sind viele Yoga-Klassen heute eher anonym.
Das stimmt, ich bin schon in Klassen gewesen, in denen man nicht mal nach seinem Namen gefragt wurde. Manche Schülerinnen lieben diese Anonymität, aber ich denke, dass gerade hier ein großer Teil der Tradition verloren geht. Einer meiner aktuellen Lehrer ist John Scott. Wenn er aus der Zeit erzählt, als er selbst gelernt hat, merkt man seine Begeisterung und hat das Gefühl, Teil von etwas Größerem zu sein. Gerade weil er damals eins zu eins mit wirklich einflussreichen Lehrenden gearbeitet hat.
Was verändert sich für Praktizierende, wenn sie dran bleiben, Disziplin aufbringen und 2-3 mal die Woche vorbeikommen?
Bei Schülerinnen die regelmäßig kommen sehe ich, dass sie eins sind mit ihrem Atem. Menschen die aus dem Vinyasa zu mir kommen, haben oft noch nie etwas von atembegleiteter Bewegung gehört. Meistens ist das kein Wunder, denn es ist sehr schwierig, seinen eigenen Rhythmus zu finden, wenn man dem eines anderen folgt und nebenbei noch Musik läuft.
Einer Schüler von mir hat an einer unserer geführten Klasse teilgenommen, bevor er Mysore entdeckt hat. Physisch hat er alles hinbekommen, aber ich habe seine Schwierigkeiten bei der Atmung gesehen und ihm vorgeschlagen, die Serie im Mysore von Anfang an zu lernen. Mittlerweile kommt er dreimal die Woche. Es ist toll zu sehen, wie sich mit dem Bewusstsein über seinen Atem seine ganze Praxis verändert hat. Für mich ist das Zusammenwirken von Atem und Bewegung die Essenz von Ashtanga.
Macht es einen Unterschied ob man morgens oder abends zum Mysore kommt?
Traditionell ist Ashtanga eine Morgenpraxis. Für mich macht es einen großen Unterschied, wann ich praktiziere, weil ich durch Yoga ganz anders in den Tag starte. Morgens als allererstes in der Stille zu sein bevor der Tag beginnt und alles auf mich einströmt, empfinde ich als Geschenk. Eine Schülerin sagte mir vor Kurzem, dass sich – seitdem sie den Morgen im Studio beginnt – ihr ganzer Tag positiv verändert hat.
Ich persönlich gehe eher ungern Abends auf die Matte, weil mein Kopf dann bereits voll ist. Die Schüler, die Abends kommen haben allerdings den Vorteil, dass ihr Körper deutlich beweglicher ist als morgens. Auch da sage ich immer „Jeder so, wie er kann.“ – wenn jemand durch den Beruf nur Abends Zeit hat, dann ist es doch besser so als gar nicht zu üben.
Welche Bedeutung hat die Zählweise beim Ashtanga?
Im Ashtanga arbeiten wir mit dem Atem, den Bandhas (den energetischen Verschlüssen), dem Drishti (der klaren Ausrichtung des Blicks in jeder Asana) und dem Count. Über diese Werkzeuge versuchen wir unseren Geist zu fokussieren und unseren Monkey Mind zu bändigen. Deswegen sind die Serien im Ashtanga von Anfang bis zum Ende durchgezählt. John Scott spricht beim Count auch vom Brain Bandha, womit er meint, dass wir nicht nur unseren Körper (durch die energetischen Verschlüsse), sondern auch unseren Geist ausrichten können.
Ziel der Count-Klassen ist es, dass nur noch der Count, der Atem und die Bewegung übrig sind. Auf diese Weise soll das Geplapper in unserem Geist vollkommen still werden. Genau deshalb ist Count sicherlich die intensivste Ashtanga Klasse, die man besuchen kann.
Wie kam es, dass Yoga für Dich zum Beruf wurde?
Ich bin seit 30 Jahren Freiberuflerin. Vor dem Yoga habe ich Tanz und Gymnastik unterrichtet. Irgendwann stellte ich mir die Frage, ob ich ewig im Fitness-Bereich bleiben will. Ich habe damals bereits Yoga praktiziert, deswegen war der nächste Schritt irgendwann klar für mich. Trotzdem habe nie geplant, einmal eine Schule zu eröffnen. Lange Zeit bin von Klasse zu Klasse und von Raum zu Raum getingelt und war glücklich damit. Irgendwann wurde dann der Raum frei, in dem heute Ashtanga Yoga Düsseldorf ist und ich nutzte die Chance. Das war vor 10 Jahren.
Mir war immer klar, dass ich das Studio nie wie ein Business mit vielen Lehrenden aufziehen würde. Ich wollte nicht, dass es zu groß wird. Mir ist es wichtig, all meine Schülerinnen persönlich zu kennen. Es ist gerade der Kontakt mit Menschen, der mir an meinem Beruf Spaß macht.
Wie stehst Du zum Online Yoga Trend?
Ich habe in der Corona Zeit selbst viel online unterrichtet, aber das waren alles Schüler, die ich kannte. Ich halte es für sehr schwierig mit Anfängerinnen, die noch nie Yoga und vor allem Ashtanga praktiziert haben, online zu üben. Ich könnte das schwer verantworten. Wir bieten im Studio einen Onlinekurs an, weil eine Lehrerin nach Frankreich gegangen ist und von dort aus ihre Gruppe weiterführt. Auch das ist aber gewachsen, da kommen nie neue Teilnehmer dazu.
Viele der jungen Frauen in meinen Kursen an der Universität praktizieren Yoga über YouTube. Was ich da in den ersten Stunden sehe, ist bezogen auf Ausrichtung und Atem teilweise erschreckend. Für mich persönlich braucht Yoga außerdem eine Gruppe. Gemeinsam zu praktizieren, gemeinsam zu atmen, sich auszutauschen – auch über andere Dinge im Leben – das ist schon ein großer Teil des Ganzen. Deswegen öffne ich die Schule auch zur Selfpractise. In dieser Zeit übe ich selbst und Schülerinnen können einfach dazukommen. Auch das wird immer mehr angenommen, weil es Freude macht, gemeinsam zu üben.
Gemeinsam zu praktizieren, gemeinsam zu atmen, sich auszutauschen – auch über andere Dinge als Yoga – das ist ein großer Teil der Praxis.
Hat die Corona-Zeit Dein Business mit Ashtanga Yoga Düsseldorf positiv oder negativ beeinflusst?
Ganz klar negativ. Es war unglaublich anstrengend, die Energie hochzuhalten und sich zu motivieren drei mal am Tag online zu unterrichten. Außerdem sind einige gegangen, die erst in diesem Jahr wieder langsam in die Klassen zurückkehren.
Aber es gab natürlich auch positive Dinge. Beispielsweise, dass ich gemerkt habe, wie sehr ich den direkten Kontakt zu meinen Schülerinnen schätze. Ein weiterer positiver Aspekt ist, dass heute viele im Homeoffice sind und auf einmal die Zeit haben, morgens zum Mysore zu kommen – das wäre nicht so, wenn sie wie vor der Pandemie noch immer täglich ins Büro müssten.
Atem spielt beim Ashtanga eine sehr große Rolle. Aktuell es das Thema groß durch Breathwork. Wie beobachtest Du diese Entwicklung gerade?
Ich habe das Gefühl, dass viele Elemente aus der Yogatradition heute mit neuem Namen daherkommen, weil sie sich auf diese Weise besser vermarkten lassen. Ich habe bisher an keiner Breathwork-Session teilgenommen und möchte nichts vorverurteilen. Im Unterricht und meiner eigenen Praxis gibt es die Atembeobachtung und ich schöpfe aus einem großen Schatz an verschiedenen Pranayama Techniken. Yoga hat da eine Menge an Atemarbeit zu bieten.
Was für Trends siehst Du sonst aktuell in der Yoga-Szene?
Das Portfolio wird immer breiter und es scheint mir manchmal so, als würde alle paar Monate der nächste Trend aus dem Boden sprießen: Cacao-Zeremonien, Breathwork, Women-Circles, Yoga mit Ziegen… die Liste könnte man wahrscheinlich ewig weiterführen.
Darüber hinaus habe ich das Gefühl, dass die Kommunikation der Marken und Studios immer weiblicher wird, was die Geschlechterverteilung im Yoga stark beeinflusst. Wenn ich mir die Bilder und Videos mancher Studios anschaue, weiß ich nicht, ob ich mich als Mann davon angesprochen fühlen würde.
Besonders schade finde ich es aber, dass sich aktuell so viel um das Aussehen dreht. Es gibt wirklich Frauen, die sich nicht trauen ins Studio zu kommen, weil sie denken ihnen fehle das richtige Outfit. Da läuft wirklich etwas ordentlich falsch am Markt.
Welche Anpassungen des traditionellen Yoga an die Gegenwart findest Du besonders sinnvoll?
Ich finde es klasse, dass wir uns immer mehr am Thema Gesunderhaltung orientieren und dadurch großen Wert auf eine gute Ausrichtung legen. Gesundheit ist hier umfassend gemeint, als physische, psychische sowie geistige Gesundheit. Mit den Techniken des Yoga können wir unser Nervensystem positiv beeinflussen, Stress vorbeugen und auch reduzieren. Immerhin gilt Stress mittlerweile als eines der wohl größten Gesundheitsrisiken.
Also würdest Du sagen, dass traditionelle Praktiken sich der Zeit, in der sie ausgeführt werden, anpassen sollten?
Auf jeden Fall. Nichts bleibt einfach stehen und auch Yoga ist ständig im Wandel. Es ist eine alte Tradition, die lebendig bleibt durch die Menschen, die es praktizieren.
Yoga ist gemacht, um uns zu dienen. Die Praxis soll unser Leben schöner und besser machen. Genau deswegen habe ich als Lehrerin auch keine Probleme damit, die Serien ab und an aufzubrechen. Wenn ich beispielsweise merke, dass eine Asana einem Schüler gerade gut tun würde, dann spricht für mich nichts dagegen, sie in seine Praxis aufzunehmen – egal, an welcher Stelle der Serie er sich gerade befindet. Es geht ja nicht darum, den Pfad vollständig zu verlassen, sondern einen freien Umgang mit ihm zu etablieren. Am Ende ist es immer ein Balanceakt zwischen ‚wann verlasse ich die Tradition zu sehr‘ und ‚wann bin ich zu dogmatisch‘ – das sind für mich die beiden Pole und irgendwo dazwischen versuche ich mich als Lehrerin zu bewegen.
Hast Du zum Schluss noch eine Buchempfehlung für alle, die mehr über Yoga und insbesondere Ashtanga Yoga erfahren möchten?
Wenn es um die Ashtanga Praxis geht, empfehle ich gerne ‚Ashtanga Yoga‘ von John Scott. Die erste Serie ist dort sehr gut beschrieben und es enthält sogar den Count – den gibt es nur sehr selten aufgeschrieben.
Es gibt so viele Yoga Bücher, die ich wirklich empfehlen kann, deshalb ist es wirklich schwer mich hier für eines zu entscheiden. Aktuell lese ich ‚Licht fürs Leben‘ von B.K.S. Iyengar und liebe es sehr. Das Buch geht über die Asana Praxis hinaus und beschreibt fantastisch, weshalb wir Asanas praktizieren, um an die tieferen Aspekte des Yogas zu gelangen.