Melanie Raabe ist bekannt für düstere Thriller und popkulturelle Cleverness. Mit ihrem neuen Roman ‚Die Kunst des Verschwindens‘ verlässt die Autorin ihr bisheriges Genre und erzählt das Abenteuer zweier Frauen in der magischen Zeit zwischen den Jahren.
Die Rauhnächte
Für immer mehr Menschen ist die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr die Zeit der Rauhnächte. Ihr Mythos entstammt einer Epoche, in der die Menschen nichts als Kerzenschein hatten, um der Dunkelheit zu trotzen und Wind und Licht noch von den Göttern gesandte Geschöpfe der Natur waren. Man sprach von einer Zeit außerhalb der Zeit: Elf Tagen und zwölf Nächten, die Mond- und Sonnenjahr voneinander trennen und den Menschen zur Einkehr dienten.
Befreit von Arbeit und Pflicht, kamen sie in ihren Häusern zusammen, um das ausklingende Jahr gemeinsam zu begehen. Sie tranken und aßen zusammen, lauschten Geschichten im Kerzenschein und trotzten gemeinsam der Kälte. Doch draußen, vor den verschlossenen Türen, trieben nicht nur Schnee und Frost ihr Unwesen. Umgeben von Dunkelheit fühlten sich die Menschen den Geistern ungewohnt nahe. Die Grenzen zwischen den Welten schienen zu verschwimmen.
Auch heute kennen wir noch diese Zeit zwischen den Jahren, gerahmt von Festtagen und Treffen mit Verwandten, die das auslaufende Jahr begleitet und das beginnende herbeisehnt. Doch mit elektrischem Licht, Unterhaltungselektronik und sich lösenden Familienbanden, hat sie im Laufe der Jahrhunderte den Großteil ihrer Magie verloren.
Die Rückkehr des Magischen
In einer Welt, die der Mensch unrechtmäßig zu seinem Eigentum erklärt hat und in der die Natur heute immer deutlicher ihre Vormachtstellung zurückfordert, treffen Magie und Mysterium auf fruchtbaren Boden. Mit ‚Die Kunst des Verschwindens‘ adressiert Melanie Raabe das menschliche Verlangen nach Eskapismus und Re-Mystifizierung und verortet ihr Geschehen passgenau in die dunkelsten Tage des Jahres. Kurz vor dem Jahreswechsel treffen Raabes Protagonistinnen Nico und Ellen erstmals aufeinander. Die Fotografin und die Schauspielerin tanzen in einer magischen Silvesternacht durch das kalt-graue Berlin. Kurz darauf verschwindet Ellen spurlos und mit einem zurückgelassenen Briefumschlag beginnt für Nico eine Suche, die sie bis tief in ihre Vergangenheit führt.
Wenngleich ‚Die Kunst des Verschwindens‚ kein typischer Thriller ist, kommen Fans von Melanie Raabe auch in diesem Roman auf ihre Kosten. Es ist ein Buch zum lachen, weinen und mitfiebern, das die Zeit um den Jahreswechsel verzaubert und die Kraft der Veränderung besingt.