„Meine Wirklichkeit schien sich von mir abgelöst zu haben, und schweifte jetzt irgendwo in der Nähe umher. Hoffentlich findet sie mich wieder, dachte ich.“
Dreißig, ledig, auf der Suche. Wollte ich „Mister Aufziehvogel“ in einem Satz zusammenfassen, wäre es wohl dieser.
Ein Roman, der mich erstmals 2019 erreicht und bis heute nicht losgelassen hat. Ein guter Zeitpunkt. Der beste vielleicht. Denn auch ich war auf der Suche. Wonach? Wer kann das schon so genau sagen.
Je nach Zustand des Lesers, kann Murakamis Aufziehvogel sicher vieles sein. Eine Motivation weiterzugehen, auch wenn kein Ziel in Sicht ist. Eine Erinnerung daran, dass es nicht um das Was geht, sondern um das Warum. Ein Aufspalten und Zusammenführen von Wirklichkeiten oder eine Hommage an den vermeintlichen Transitzustand, in dem wir uns doch alle irgendwie befinden.
Für mich war er 2019 vor allem ein Versinken in eine Welt von Möglichkeiten. In Erfahrungen und Geschichten der unterschiedlichsten Charaktere, die dem Protagonisten auf seiner Suche begegnen. Jede wie ein Puzzleteil, für das noch kein festgelegter Platz im Raum existiert. Ein Roman über Transformation und Bewusstsein. Über die Nebenwirkungen des Verstandes und die Last, die er uns mit der Frage nach dem Warum immer wieder aufbürdet. Und nicht zuletzt ein Aufruf, uns bei aller Suche dem Fluss des Lebens nicht zu widersetzen.
Mit „Mister Aufziehvogel“ hat Murakami einmal mehr seine Fähigkeit bewiesen, meinen Verstand auf sanfte Weise für die Möglichkeit des Unmöglichen zu öffnen und meine Idee von Wirklichkeit um immer neue Dimensionen zu erweitern.
2020 ist sein Roman in einer Neuübersetzung unter dem Titel „Die Chroniken des Aufziehvogels“ erschienen. Anstatt aus dem Englischen, wurde diese Version direkt aus dem Japanischen übersetzt.
